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Aus der aktuellen HOCH³:

Mit Händen, Füßen

UND VIEL EMPATHIE

Text: Michaela Speckbacher Fotos: Gerhard Berger

Ich wünsche mir, dass es weniger Berührungsängste gibt und unsere Mitarbeiter:innen besser für die Kommunikation mit gehörlosen Patient:innen gerüstet sind.

Gehörlosenkoordinatorin Tanja Plangger

Kommunikation im Klinikalltag ist für gehörlose Patient:innen und das medizinische Personal eine Herausforderung. Das beginnt schon bei der Durchsage im Wartebereich: „Frau Hauser in Raum 3 bitte!“, aber was, wenn man den Aufruf nicht hören kann? Drei Mitarbeiterinnen haben mit der HOCH³ über ihre Erfahrungen im Umgang mit gehörlosen Patient:innen gesprochen und warum sie die neue Gehörlosenkoordination am LKH Innsbruck wichtig finden.

Gehörlose Patient:innen im Krankenhaus

In den letzten Wochen lag ein gehörloser junger Mann nach einem schweren Unfall auf der orthopädisch-traumatologischen Station 6 Nord im LKH Innsbruck. „Pro Jahr sind circa zwei oder drei gehörlose Patientinnen und Patienten bei uns auf der Station“, erzählt Ruth Friedrich-Hagen, Leitende Diplompflegerin dieser Station. Für gehörlose Menschen ist die Sprachbarriere im Krankenhaus eine der größten Heraus-forderungen. Die Verständigung mit ärztlichem Personal, Therapeut:innen und Pflegekräften ist erschwert, was für Frust auf allen Seiten sorgen und Ängste schüren kann. Seit Mai 2024 ist Tanja Plangger als Gehörlosen-koordinatorin am LKH Innsbruck tätig. Ihre Aufgabe ist es, strukturelle Verbesserungen für den Umgang mit gehörlosen Patient:innen zu schaffen und Barrieren abzubauen.

Gebärde für das Wort "Pflege".



INFORMATIONEN, DIE ANKOMMEN

Während eines Krankenhausaufenthaltes gibt es zwei wichtige Kommunikations-Schwerpunkte. Einerseits das medizinische Gespräch, in dem zum Beispiel eine Diagnose mitgeteilt oder Behandlungs- und Therapiepläne besprochen werden. Der junge Patient musste sich einer komplizierten Operation am Bein unterziehen.

Bei solchen Gesprächen ist sehr wichtig, dass die Informationen korrekt beim Gegenüber ankommen.

Stationsärztin Alexandra Dal-Pont

„Bei solchen Gesprächen ist sehr wichtig, dass die Informationen korrekt beim Gegenüber ankommen, deshalb ziehen wir bei gehörlosen Menschen in den meisten Fällen eine Gebärdensprachdolmetscherin oder einen Gebärdensprachdolmetscher hinzu“, erklärt Alexandra Dal-Pont, Stationsärztin auf der 6 Nord. Aber gerade bei solchen Gesprächen geht es nicht nur um die Übermittlung von Fakten, sondern auch um Sensibilität, emotionale Unterstützung und Empathie. Die Medizinerin versucht, dies durch eine entsprechende Mimik zum Ausdruck zu bringen. Dal-Pont sieht es als großen Vorteil, dass jetzt auch Tanja Plangger mit ihrer Expertise zur Verfügung steht. Die Gehörlosenkoordinatorin spricht fließend Gebärdensprache und kann unterstützend hinzugezogen werden, wenn es zwischen Patient:innen und Klinikpersonal offene Themen oder Fragen gibt.

Gebärde für "Medizin".







Herausforderungen und Körpersprache

„Schriftliche Notizen funktionieren manchmal, aber nicht immer und auch nicht alle Gehörlosen können Lippenlesen.

Pflegerin Sylvia Kammerer

Der zweite große Bereich ist die Alltags-Kommunikation, die hauptsächlich von Mitarbeitenden der Pflege bewältigt wird. Bei der Körperpflege, dem täglichen Verbandswechsel oder für Gespräche über die Versorgung mit Speisen und Getränken stehen zum Beispiel keine Dolmetscher:innen bereit. Eine Geste für „Trinken“ ist das wiederholte Kippen der Hand in Richtung Mund, wie aber fragt man nach glutenfreier Nahrung ohne hörbare Worte? Der Informationsaustausch gelingt manchmal nur über Gestikulieren und Mimik, „oft mit Händen und Füßen, wie man so schön sagt“, ergänzt Pflegerin Sylvia Kammerer.

Freundlichkeit und Humor

Oft lockere ein freundliches Wort oder ein kleiner Scherz eine Situation im Pflegealltag auf, diese Möglichkeit habe ihr auch in den letzten Wochen bei der Betreuung des gehörlosen Mannes wieder gefehlt, erzählt Kammerer. Missverständnisse und Unsicherheiten können leichter als bei hörenden Patient:innen passieren und es kann schon vorkommen, dass eine Unterhaltung an einen Punkt gelangt, an dem man nicht weiterkommt.

INFORMATION UND SCHULUNG FÜR PERSONAL

Es geht nicht nur darum, Sprachbarrieren zu überwinden, sondern auch eine inklusivere Kultur zu schaffen

Gehörlosenkoordinatorin Tanja Plangger

Gehörlosenkoordinatorin Tanja Plangger setzt auf Information und Schulung, um hier eine Verbesserung zu erzielen. Alle sind sich in diesem Punkt einig: Der Umgang mit gehörlosen Patient:innen muss in den tirol kliniken weiter verbessert werden. „Es geht nicht nur darum, Sprachbarrieren zu überwinden, sondern auch eine inklusivere Kultur zu schaffen“, so Plangg er. Dazu gehören neben der Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetscher:innen auch Fortbildungsmöglichkeiten für medizinisches Personal sowie strukturelle Anpassungen wie die Bereitstellung von digitalen Hilfsmitteln, wie zum Beispiel Gebärden-sprachdatenbanken oder Übersetzungs-applikationen.

Auch Alexandra Dal-Pont, Ruth Friedrich-Hagen und Sylvia Kammerer möchten diesen Weg weiterverfolgen. Ein paar Basis-Ausdrücke in Gebärdensprache beherrschen die drei schon und von Tanja Plangger können sie bestimmt noch die ein oder andere Gebärde lernen. Denn es sind nicht nur die medizinischen Geräte und Behandlungen, die zur Heilung beitragen, sondern auch die respektvolle und verständliche Kommunikation.

Gehörlosenkoordinatorin

Tanja Plangger

im Gespräch

Seit Mai ist Tanja Plangger Gehörlosenkoordinatorin am LKH Innsbruck. Sie spricht fließend Österreichische Gebärdensprache, hat ein offenes Auge für die Anliegen von gehörlosen Menschen und will in den tirol kliniken ein stärkeres Bewusstsein für das Thema schaffen.

Ich wünsche mir, dass es weniger Berührungsängste gibt und unsere Mitarbeiter:innen besser für die Kommunikation mit gehörlosen Patient:innen gerüstet sind.

Gehörlosenkoordinatorin Tanja Plangger

WOHER KOMMT IHR BEZUG ZUM THEMA GEHÖRLOSIGKEIT?

Aus dem Beruflichen. Im Kolleg für Sozialpädagogik in Stams hatte ich erstmals Berührungspunkte mit gehörlosen Personen. Das hat mein Interesse an der Gebärdensprache geweckt. Während meiner Karenzzeit habe ich dann Gebärdensprachkurse besucht und anschließend über 10 Jahre lang als Sozialarbeiterin in der Beratungsstelle für Gehörlose in Innsbruck gearbeitet.

SIE LERNEN ALSO SCHON VIELE JAHRE GEBÄRDENSPRACHE?

Ja, insgesamt habe ich nun über 11 Jahre Erfahrung im täglichen Gebrauch der Gebärdensprache. Eine Ausbildung zur Gebärdensprach-Dolmetscherin habe ich nicht, aber ich habe viel in der Praxis gelernt. Es ist aber wie mit jeder Fremdsprache – man lernt nie aus! Für die professionelle Übersetzung gibt es an der fh gesundheit übrigens den Studiengang "Gebärdensprachdolmetschen“.

HABEN SIE EINE LIEBLINGSGEBÄRDE?

Ja, das ist eine „Spezialgebärde“. Mein Zeigefinger der rechten Hand schnellt hoch und ich mache mit meinem Mund „Pfff“. Diese Gebärde ist sehr vielseitig verwendbar, sie drückt Überraschung aus – sowohl im Positiven als auch im Negativen. Diese Geste mag ich, weil sie so gut ausdrückt, dass ich daran, was mein Gegenüber sagt, Anteil nehme.

DIE KOORDINATIONSSTELLE IST NEU, DAS THEMA GEHÖRLOSIGKEIT BESCHÄFTIGT DIE TIROL KLINIKEN ABER SCHON LÄNGER?

Auf jeden Fall! Es gibt in Tirol zirka 700 gehörlose Personen, welche auch eine medizinische Versorgung benötigen. Durch den fehlenden Gehörsinn ist man oft vom Informationsfluss abgeschnitten. Als hörender Mensch wird man tagtäglich laufend mit Informationen gefüttert – Radio, Fernsehen, Durchsagen, Gespräche von anderen Personen. Deshalb ist es für gehörlose Patient:innen im klinischen Setting besonders wichtig, dass man sich Zeit nimmt und gewisse Kommunikationsregeln befolgt. Um hier unsere Mitarbeiter:innen zu unterstützen, wurde die Gehörlosenkoordination ins Leben gerufen. Zusätzlich ist es bereits seit vielen Jahren speziell für medizinische Fachgespräche möglich, eine:n Gebärdensprach-Dolmetscher:in hinzuzuziehen.

KÖNNEN SIE IHRE AUFGABEN NÄHER BESCHREIBEN?

Als Gehörlosenkoordinatorin bin ich zuständig für strukturelle Verbesserungen für gehörlose Patient:innen am LKH Innsbruck. In Notfällen kann die Kommunikation besonders schwierig sein und nicht alle Mitarbeitenden sind auf die Bedürfnisse gehörloser Patienten vorbereitet. Manchmal fehlen Technologien, die die Kommunikation erleichtern könnten. Alle diese Faktoren erschweren die bestmögliche medizinische Behandlung und ich darf jetzt einen Beitrag leisten, um diese Barrieren abzubauen und die Situation für gehörlose Menschen zu optimieren.

WISSEN SIE SCHON, WO SIE EINEN SCHWERPUNKT SETZEN WERDEN?

Ich werde viel Energie in die Schulung von Mitarbeiter:innen investieren. In diesem Bereich gibt es großes Interesse und einzelne Abteilungen und Stationen haben sich bereits bei mir erkundigt. Darüber hinaus begleite ich Patient:innen zu Terminen oder im Rahmen eines stationären Aufenthalts. So entstehen erst gar keine Missverständnisse.

HABEN SIE EINEN WUNSCH FÜR DIE ZUKUNFT?

Ich wünsche mir, dass es weniger Berührungsängste gibt und unsere Mitarbeiter:innen besser für die Kommunikation mit gehörlosen Patient:innen gerüstet sind. Denn wie wir wissen, ist Information und Austausch die Basis für eine gute Behandlung.



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Mit Händen und Füßen

aus der aktuellen Printausgabe des tirol kliniken-Magazins HOCH³ gelesen:

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